DIVINO - Das Magazin | N° 2/2022 Herbst - Winter

Der Winter ist eine stille Zeit. Der vielstimmige Vogelgesang, der im Frühling und Sommer die Tage begleitet, ist verstummt. Doch nicht alle Vogelarten legen eine winterliche Singpause ein. Mit seinem perlenden Gesang unterbricht das Rotkehlchen (Erithacus rubecula) die Wintermonotonie und galt eventuell auch deshalb bei unseren germanischen Vorfahren als Träger und Überbringer der Sonne. MELODISCHE REVIERABGRENZUNG Die Gesangsdarbietungen der Vogelmännchen im Frühling und Sommer erfüllt zwei Aufgaben. Zum einen sollen paarungsbereite Weibchen angelockt und zum anderen potenzielle Konkurrenten um Brutrevier und Partnerin vertrieben werden. Im Gegensatz dazu markiert der Wintergesang des Rotkehlchens die Grenzen seines Futterreviers. Die Besonderheit dabei: Auch die weiblichen Rotkehlchen singen, denn sie besetzen ein eigenes Revier. Der Grund für dieses strenge Einzelgängertum ist die geringere Nahrungsverfügbarkeit in den Wintermonaten. Da Rotkehlchen mit ihrem schmalen Schnabel keine Nüsse und hartschalige Samen aufknacken können, besteht die Hauptnahrung aus Beeren und Früchten. AUF GUTE NACHBARSCHAFT Mit Beginn der Brutzeit geben die Weibchen ihre Reviere auf und leben mit dem auserwählten Partner in einem Gebiet. Untersuchungen zeigen, dass Rotkehlchen ihre Reviernachbarn an der Stimme erkennen und diesen gegenüber toleranter bei „Grenzüberschreitungen“ sind. Frei nach der Devise „was im Winter gut funktioniert hat, klappt auch im Frühling“. Unbekannte Eindringlinge werden jedoch vehement verjagt. Während der Brutzeit hat der Schutz des Geleges vor Nesträubern oberste Priorität. Daher legen Rotkehlchen ihre napfförmigen Nester gut getarnt in Bodenvertiefungen im dichtem Untergehölz oder in Halbhöhlen wie z.B. hohlen Baumstümpfen an. MUT ZAHLT SICH AUS So heimlich das Rotkehlchen auch bei der Brut agiert, umso weniger scheu verhält es sich bei der Nahrungssuche. Bei der Garten- oder Weinbergsarbeit kommen die Vögel oft bis auf einen Meter heran, um in der bearbeiteten Fläche nach Insekten und Würmern zu suchen. Studien belegen, dass Rotkehlchen aktiv die Nähe größerer Tiere (und nichts anderes ist der Mensch aus der Vogelperspektive) suchen, da dort oftmals Insekten zu finden sind. Die Zutraulichkeit der Rotkehlchen ist somit eine äußerst clevere Strategie, die eine erfolgreiche Beutesuche garantiert. Und ein schönes Beispiel dafür, wie sich evolutionär eine Eigenschaft in einer Gemeinschaft verbreiten kann: Die etwas mutigeren Rotkehlchen, die sich näher an größere Tiere heranwagten, fanden mehr Nahrung und konnten dadurch mehr Jungvögel großziehen, die wiederum zutraulich waren, usw. Auch bei der Amsel – früher ein scheuer Waldvogel – haben sich über Generationen die weniger ängstlichen Individuen durchgesetzt, sodass nun eine enge Bindung an menschliche Siedlungen besteht. Dr. Beate Wende Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) An der Steige 97209 Veitshöchheim Telefon +49 (931) 9801-574 beate.wende@lwg.bayern.de VOGELFÜTTERUNG Mit Winterbeginn stellt sich die Frage, welches Futter den gefie- derten Gartenbesuchern am besten angeboten werden soll. Man unterscheidet bei den Wintervögeln zwischen Weich- futter- und Körnerfressern. Grob kann man an der Schnabelform erkennen, zu welcher Kategorie der entsprechende Vogel gehört. Arten mit schlankem und spitzem Schnabel wie Amsel, Zaunkönig und Rotkehlchen zählen zu den Weichfutterfressern. Diese bevorzugen im Winter tierische Kost, Beeren oder ganz feine Samen. Körnerfresser haben einen kräftigen Schnabel, wie Grün- und Buchfink oder Haus- und Feldsperling. Für diese Arten sind Sonnenblumenkerne, Nüsse und weitere hartschalige Samen das geeignete Futter. Einen Überblick gibt es hier: www.nabu.de/tiere-und -pflanzen/voegel/helfen/ vogelfuetterung/21659.html FOTO: COMMONS.WIK IMEDIA.ORG/JACOB SPINKS Auszeichnung für den Sympathieträger: 2020 wurde bei der Wahl zum Vogel des Jahres ein Novum eingeführt. Zum ersten Mal entschied eine öffentliche Wahl, an der sich jeder beteiligen konnte, über den Titelträger des Jahres 2021. Mit 17,4 % der Stimmen wurde das Rotkehlchen mit seinem Slogan „Mehr Gartenvielfalt“ als Sieger gekürt. Der jeweilige Vogel des Jahres soll entweder auf seine Gefährdungssituation aufmerksam machen, oder er fungiert als Botschafter für die Erhaltung und Förderung seines Lebensraums. Zauberhaft, zierlich und zutraulich: Der Wintersänger An dieser Stelle berichtet Dr. Beate Wende, Biologin an der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim, von besonderen Tieren und Pflanzen im Weinberg. In dieser Ausgabe widmet sich die Wissenschaftlerin einem durch und durch sympathischen Untermieter im Weinberg: 22 Nº 2/2022·DIVINO MAGAZIN LEBENSRAUM WEINBERG

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