DIVINO - Das Magazin | N° 1/2022 Frühjahr - Sommer

Manche Pflanzen wachsen, gedeihen und reifen scheinbar einfach so. Sie haben sich immer weiterentwickelt und an ihr Umfeld mit seinen spezifischen Gegebenheiten angepasst. Teilweise hat das Jahrmillionen gedauert und zu wirklich perfekten Systemen geführt. Andere – vor allem Nutzpflanzen – wurden und werden noch immer vom Menschen in eine bestimmte Richtung gezüchtet. So ist es auch im Weinbau. Eine ganz besondere Züchtung ist inzwischen 105 Jahre alt und sehr beliebt in der Weinwelt. Wir sprechen von der Scheurebe. Eine Rebsorte, die 1916 von Julius Georg Scheu (1879-1949) an der Landesanstalt für Rebenzüchtung in Alzey in Rheinhessen „entwickelt“ wurde und somit nach dem Müller-Thurgau (1882) die zweitälteste deutsche Neuzüchtung ist. Scheu hatte als Eltern Riesling x Silvaner ausgewählt. Das wurde allerdings 2012 aufgrund von DNA-Analysen revidiert und korrigiert: Der echte Vater ist nicht Silvaner, sondern die aus Randersacker stammende Bukettrebe (= Silvaner x Trollinger). Die Scheurebe ist somit ein echtes Kuckuckskind. Als Wein wird die Scheurebe meistens als sehr fruchtig, saftig und mit lebendiger, aber nicht anstrengender Säure beschrieben. Typische Aromen sind schwarze Johannisbeere, gelbe Grapefruit, manchmal auch Pfirsich, Mandarine, Mango und andere exotische Früchte. Scheurebe-Weine haben bei entsprechender Qualität ein gutes Reifepotenzial und werden nicht selten als Spätlesen oder edelsüße Trockenbeerenauslesen angeboten. Im Gegensatz zu anderen Rebsorten genießen bei der Scheurebe auch die Geschmacksstile lieblich und süß hohes Ansehen bei WeinliebhaberInnen. Sind sie trocken ausgebaut, kann man mit der Scheurebe würzige indische Curries oder auch thailändische Menüs mit Fisch oder Geflügel harmonisch begleiten. DER WEG DER REBSORTE Wie so oft steht hinter einer Neuzüchtung eine echte Notlage: Niedrige Erträge, hohe Säurewerte und ein niedriger Zuckergehalt bei der Modesorte Riesling vor 100 Jahren stellten große Herausforderungen für die Weinbaubetriebe dar. Julius Georg Scheu war ein junger Wissenschaftler, zu dessen Aufgaben die Bereitstellung von gesundem Pflanzmaterial für den Weinbau und die Verbesserung von Aufzucht und Anbaumethoden in Rheinhessen zählten. Und so wurde die Selektion und Prüfung von Rebsorten sowie die Erprobung von modernen Erziehungsmethoden zu seiner Lebensaufgabe. Dabei ist nicht nur Ein verheissungsvoller Moment: Die Triebspitze zeigt sich. Wie aus dem Bilderbuch sieht das junge Blatt der Scheurebe aus. Die Blattform der Scheurebe nennt man „Herzblatt“. Josef Engelhart Weinbautechniker und Ampelograph am Institut für Weinbau und Oenologie - IWO 2 Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau An der Steige 15 97209 Veitshöchheim Tel. 0931 98013528 Fax: 0931 98013550 josef.engelhart@lwg.bayern.de www.lwg.bayern.de die Scheurebe entstanden, sondern auch die Faberrebe, Huxelrebe, Siegerrebe, Kanzler, Würzer, Regner, Perle und eine Rotweinneuzüchtung mit der Zuchtnummer „AZ 15477“. Scheus Zuchtziel war vor allem, solche Sorten zu erzeugen, denen weder Zucker zugefügt noch die Säure entnommen werden musste – also naturreine Weine. Hohe Mostgewichte, stabile Erträge und ein ansprechendes Bukett gehörten ebenfalls zu den Anforderungen. Heute sind in Deutschland etwas mehr als 2.000 Hektar Rebfläche mit der Scheurebe bestückt. Das meiste davon in Rheinhessen, wo sie ihren Ursprung hat. Julius Georg Scheu hat es nicht mehr erlebt, dass seine hervorragende Neuzüchtung – am Anfang „S 88“ oder „Dr. Wagnerrebe“ genannt – erst mit dem Sortenschutz im Jahre 1956 seinen Namen erhielt. FOTOS: JOSEF ENGELHART (LWG) DIVINO MAGAZIN·Nº 1/2022 29

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